Die Entscheidung ist gefallen. Wochenlang hatte Valentino Rossi Fans, Fachleute und Journalisten mit unterschiedlichsten Bemerkungen gefüttert und stets alle Varianten offen gelassen. Mit Yamaha und Ducati warteten nicht nur zwei große Hersteller, sondern auch andere Fahrer wie Andrea Dovizioso und Cal Crutchlow auf das endgültige Wort des Italieners. Niemand - außer "Il Dottore" - hätte sich ein solches Taktieren unter geschickter Einbeziehung der Öffentlichkeit leisten können. Doch der Seriensieger und neunfache Weltmeister wurde keinesfalls umsonst von der Universität seiner Heimatstadt zum Doktor für Kommunikation ernannt. Rossi ist mehr als ein Rennfahrer, er ist der Superstar der Zweiradwelt - und genießt Zuspruch rund um den Erdball.
Der Italiener aus der Region Marken wusste schon immer zu überraschen. Als italienischer 125cc-Meister stieg er im Jahr 1996 in die 125cc-Klasse ein und wurde nur ein Jahr später erstmals Weltmeister. Das gleiche Muster bildete sich jeweils auch nach seinen Sprüngen in die jeweils höhere 250cc- und 500cc-Klasse ab. Spätestens seine fünf WM-Titel in Folge rückten das Talent aus Urbino immer mehr in den Blickpunkt. Der Sohn des Rennfahrers Graziano Rossi brauchte nie lange Zeit, um sich an neue Bedingungen zu gewöhnen oder Konkurrenten einzuordnen. Auch nicht im Jahr 2004, als er erfolgsverwöhnt von Honda auf Yamaha wechselte und trotz der technisch zunächst nicht so starken Maschine eine weitere Weltmeisterschaft feiern konnte.
Dass es nicht immer nur noch oben gehen kann, bekam Rossi - der seine ersten Motorsporterfahrungen auf einem Go-Kart gesammelt hat - erstmals 2006 zu spüren. Während seine Yamaha Schwächen offenbarte, schnappte ihm Nicky Hayden den letzten Titel der 990cc-Ära weg. Aber der Rallye-Fan verstand es, zurückzuschlagen. Zwar musste er auch 2007 mit dem Ducati-Piloten Casey Stoner einem anderen Fahrer den Titel überlassen, doch in den folgenden Jahren triumphierte der Yamaha-Pilot erneut. Aber auch die Konkurrenz setzte Zeichen. Mit Jorge Lorenzo machte plötzlich ein talentierter Youngster Druck im eigenen Rennstall. Der Spanier nahm den Machtkampf mit Rossi an und entwickelte sich zu einem seiner ärgsten Konkurrenten. Als Lorenzo auch noch identisches A-Material erhielt, zeigte der Star der Szene Nerven: "Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass ich das verdiene, nach allem, was ich für Yamaha getan habe", wurde die Ikone damals zitiert.
Schon längst hatte Rossi zu jenem Zeitpunkt aber mit Ducati verhandelt. Der Wechsel von Yamaha zu Ducati sorgte für Furore. Neben einem fürstlichen Gehalt begeisterte Rossi sicher auch das große Ziel, seiner beeindruckenden Karriere mit einem weiteren WM-Titel für einen dritten Hersteller noch eins draufzusetzen. Und zwar in der Traumkombination zweier Ikonen - einem italienischen Fahrer und Bike. "Sobald er erstmals die Ducati fährt, werden wir zusammen an jedem einzelnen Detail arbeiten, um eine Maschine zu entwickeln, die seinem besonderen Talent würdig ist", hatte Ducati Corse General Direktor Filippo Preziosi bei der Bekanntgabe des Wechsels gesagt. Gearbeitet wurde bei den Italienern in den letzten zwei Jahren tatsächlich viel. Doch Erfolge blieben aus.
Während im ersten Jahr eine Verletzung von Rossi einen nicht unwesentlichen Anteil an der Stagnation hatte, konnte Ducati auch in der laufenden Saison nur wenige Achtungszeichen setzen. Rossi machte seine Unzufriedenheit in der Öffentlichkeit deutlich. Und auch die Medien überschlugen sich plötzlich nicht mehr mit Lobeshymnen, sondern ließen immer öfter auch kritische Töne anklingen. Schließlich erwartet man von einem neunfachen Weltmeister immer, dass er um den WM-Titel mitfährt.
Sein Lächeln hat der beliebte Italiener trotz allem nicht verloren. Für Späße ist er weiterhin zu haben und seine eigene Situation kommentiert er nicht selten mit einem Augenzwinkern. Und doch hat es in ihm ganz sicher gebrodelt, auch, weil an der Werbefigur Valentino Rossi viel dranhängt. Es scheint, als habe sich einer der besten Motorradrennfahrer der Geschichte in einem stillen Moment auf seine Aussage besonnen, dass er seine Karriere bei Yamaha beenden will. Sicherlich kann es als symbolischer Akt betrachtet werden, dass Rossi nun wieder den Japanern das Vertrauen schenkt und sich so ein (bisher) erfolgreicher Kreis schließt. Denn unlängst hat der Italiener angekündigt, dem Rennsport nur noch zwei Jahre erhalten bleiben zu wollen. Zwei Jahre, die selbst für einen ganz großen Fahrer zu wenig sind, um einer teilweise noch an Kinderkrankheiten leidenden Maschine den entscheidenden Schliff zu verpassen. Denn auch der Einstieg von Audi beim italienischen Hersteller, den Rossi ausdrücklich so gelobt hatte, ist allein kein Heilsbringer.
Weiter mit Ducati zu kämpfen, wäre sicherlich eine Herausforderung gewesen, die bei einem positiven Ausgang wahrscheinlich die Aufstockung des Rossi-Denkmals um mehrere Etagen zur Folge gehabt hätte. Doch der 33-jährige scheint mit dem aktuellen Status der Ikonisierung zufrieden, will keinen Heiligenschein und nimmt in Kauf, sich zumindest in Bezug auf Ducati auch die Beurteilung "gescheitert" gefallen zu lassen. Erst kürzlich hatte sich Rossi eingestanden, dass er sich mehr von seinem Ducati-Einsatz erhofft hat. "Die Situation hat sich verändert, man kann keinen großen Unterschied mehr machen. Und speziell ich habe es nicht geschafft", zeigte Rossi Selbstkritik.
Eines steht fest: Sportlich muss sich "Il Dottore" definitiv nichts mehr beweisen. Doch sein Hunger nach Siegen scheint größer zu sein als die bisher unerreichte Krönung mit Erfolgen für drei verschiedene Hersteller zu glänzen. Das ist verständlich, denn Sportler wollen den Moment des Erfolges genießen. Ob Rossi diese ausgerechnet neben dem momentan so erfolgreichen Jorge Lorenzo, mit dem er einst schon bei Yamaha aneinander geraten ist, feiern wird, ist die Frage. Der Spanier wird sich von Rossi sicher nicht in die Schranken weisen lassen und seine Position im Team behaupten. Beide Piloten haben vorsorglich schon mehrfach öffentlichkeitswirksam geäußert, dass sie keine Probleme miteinander haben - Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft. Die Realität wird zeigen, ob das tatsächlich Fall ist.
diese MotoGP Redaktion