2012 jährt sich die ADAC Rallye Deutschland zum zehnten Mal als Rallye-Weltmeisterschaftslauf. Rallye-WM und Formel 1 werden als die Königsklassen des Motorsports bezeichnet. Doch wer hat tatsächlich die Krone auf? Welche Disziplin stellt die höheren Anforderungen an die Fähigkeiten des Sportlers? Und warum? Wir haben zwei gefragt, die es wissen müssen: den zweifachen Rallye-Weltmeister Walter Röhrl und Formel-1-Doppelweltmeister Sebastian Vettel.
Sebastian Vettel, nennen Sie uns bitte drei Gründe, warum Sie Formel-1-Fahrer geworden sind und kein Rallye-Pilot.
Sebastian Vettel: Mein Vater ist früher Bergrennen gefahren, also auf Asphalt. Als ich dann in jungen Jahren mit dem Kartsport angefangen habe, war Rallye eigentlich nie ein Thema.
Walter Röhrl, die gleiche Bitte an Sie: Drei Gründe, warum aus Ihnen ein Rallye-Pilot wurde und kein Formel-1-Fahrer.
Walter Röhrl: Auf der Rundstrecke waren mir immer zu viele Leute unterwegs. Bei der Rallye kann man außerdem größere Leistungsnachteile des Fahrzeugs durch fahrerisches Können ausgleichen, zum Beispiel auf Bergab-Passagen, bei schlechter Sicht in der Nacht oder bei Nebel. Ein weiterer Grund war für mich immer die Tatsache, dass man in der Rallye keine "Ellbogen" braucht, denn da fahre ich immer alleine gegen die Uhr.
Formel-1-Piloten sind Spezialisten, Rallye-Piloten sind Generalisten - ist so eine Klassifizierung zu einfach? Welche Charakterzüge unterscheiden die beiden Rennfahrertypen?
Walter Röhrl: Ganz einfach: Der Formel-1-Fahrer lebt vom Perfektionismus, der Rallye-Fahrer von der Kunst der Improvisation.
Sebastian Vettel: Beide Sportarten sind sehr unterschiedlich, obwohl es in vielen Bereichen auf die gleichen Dinge ankommt: Fahrgefühl, die Fähigkeit, alles um einen herum auszublenden, und die Bereitschaft, sich und sein Fahrzeug bis ans Maximum zu pushen. Aber in der Formel 1 stehen 24 am Start und dann heißt es: Auf die Plätze fertig, los! In der Rallye fährst du allein gegen die Uhr, ohne Zweikampf, das ist wie bei uns im Qualifying.
Was kann ein Formel-1-Profi von einem Rallye-Piloten lernen?
Walter Röhrl: Fahrzeugbeherrschung.
Sebastian Vettel: Neben der Fahrzeugbeherrschung vor allem das schnelle Reagieren, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Da sind Rallye-Fahrer absolute Ausnahmekönner. Bei diesem Umschalten tun sich Formel-1-Fahrer manchmal ein bisschen schwerer, da wir lange im gleichen Rhythmus unterwegs sind.
Umgekehrt gefragt: Was kann ein Rallye-Profi vom Formel-1-Piloten lernen?
Walter Röhrl: Perfektion, also die Fähigkeit, eine absolut saubere Linie zu fahren.
In der Rallye sagt ja ein Beifahrer, wo's langgeht. Herr Röhrl, hat Ihnen ein Co-Pilot schon mal den falschen Weg angesagt? Wie ging das aus?
Walter Röhrl: Nein, das ist mir nie passiert. Aber umgekehrt: Bei einer Akropolis-Rallye habe ich einmal "links minus" verstanden, die Kurve war aber eine "mittel links minus". Zur Erklärung: Die eine geht im vierten Gang, die andere nur im zweiten. Die Folge war ein Abflug und 25 Minuten Bergungszeit.
Bei einem Formel-1-Rennen sprechen Sie per Funk mit den Ingenieuren in der Box. Stört so etwas nicht, wenn man gerade am Limit fährt? Lenkt es die Konzentration ab?
Sebastian Vettel: Nein, man versucht ja auch immer nur dann zu reden, wenn es einem auch passt. Wenn man wirklich nicht in der Lage ist zu sprechen, dann macht man das auch nicht. Aber man gewöhnt sich dran. Ich denke, das ist ähnlich wie bei der Rallye. Wenn man zum ersten Mal fährt und ständig jemand im Ohr hat, ist es ein bisschen ungewohnt. Aber dann wird es zur Routine und fällt Dir erst dann wieder auf, wenn es wegfällt. Kein großes Problem. Es kommt darauf an, die Kapazität zu haben, sich neben dem Fahren auch auf andere Dinge konzentrieren zu können.
Zur Abwechslung mal eine Frage über Fahrphysik: In der Formel 1 sollen die Räder in den Kurven nicht rutschen, in der Rallye wird oft gedriftet. Warum ist das so?
Walter Röhrl: Das ist eine Frage des Untergrunds. Auf Asphalt ist der saubere Strich die schnellste Möglichkeit, auf rutschigem Terrain ist es der Drift. Die Front des Fahrzeugs zeigt dabei zur Kurveninnenseite, damit wirkt die Antriebskraft der Fliehkraft etwas entgegen und erlaubt tatsächlich eine höhere Geschwindigkeit als das stabile Fahren.
Sebastian Vettel: Bei uns kostet jeder Quersteher Zeit. Aber auch in der Rallye ändert sich der Fahrstil mit dem Untergrund. Gerade auf Asphalt ist es nicht gesund, zu viel zu driften. Natürlich sieht es spektakulärer aus, wenn ein Rallye-Auto dahergerutscht kommt. In der Formel 1 ist es eher selten, dass ein Auto ausbricht, weil die Aerodynamik eine viel größere Rolle spielt.
Versuchen Sie bitte für einen Laien verständlich zu erklären, wie es sich anfühlt, einen Rennwagen am Limit zu bewegen. Wie ist es möglich, ein Fahrzeug bei so hohem Tempo zentimetergenau über die Strecke zu zirkeln?
Sebastian Vettel: Es ist ja nicht so, dass man einsteigt und alles neu ist. Man gewöhnt sich von klein auf an die Geschwindigkeit und sammelt Erfahrung. Alles wird immer ein bisschen schneller, ein bisschen größer und so tastet man sich ans Limit ran. Dabei ist es wichtig, permanent an seinem Fahrstil zu arbeiten und sich zu verbessern. Irgendwann sagt Dir Dein Gefühl, wenn etwas nicht passt. Dann weißt Du, okay, irgendwann muss ich da mal was umstellen - entweder am Auto oder an mir selbst -, um auch wirklich jeden Zentimeter genau zu nutzen. Also, wer später bremst gibt länger Vollgas! Ich glaube an dem Grundsatz hat sich nichts geändert.
Herr Röhrl, Sie haben mal gesagt "Autofahren beginnt für mich dort, wo ich den Wagen mit dem Gaspedal statt dem Lenkrad steuere. Alles andere heißt nur die Arbeit machen." Sind Formel-1-Piloten für Sie demnach "Autofahrer" oder "Arbeiter"?
Walter Röhrl: Ich sehe das folgendermaßen: In der Rallye ist sauberes Fahren gleichbedeutend mit harter Arbeit. Mit dem Gaspedal zu lenken, ist dagegen ein Spaß. Für mich als Fahrer war es Arbeit, denn ich habe im Rallye-Sport den sauberen Strich eingeführt und war gerade darum erfolgreich.
Herr Vettel, möchten Sie mal ein Rallye-Fahrzeug testen?
Sebastian Vettel: Dafür könnte ich mich auf jeden Fall begeistern. Ich hatte zwar noch nicht die Gelegenheit, ein Rallye-Auto zu fahren. Aber ich war ab und zu schon mal mit einem Auto auf Eis unterwegs - ein unheimlicher Spaß, wenn man auch mal ein bisschen rutschen darf und kann. Aber eine Rallye-Prüfung im Wald, wo dann links und rechts Bäume stehen, ist dann schon noch mal eine ganz andere Hausnummer. Als Rundstreckenfahrer muss man vermutlich erst mal mit dem Adrenalinstoß klarkommen und sich auf das Wesentliche konzentrieren: auf das Fahren.
Wenn man in der Formel 1 über sportliche Vorbilder spricht, führt sicher kein Weg an Michael Schumacher vorbei. Herr Vettel, wie sieht es für Sie mit einem Walter Röhrl als Vorbild aus und warum?
Sebastian Vettel: Natürlich war der Michael eine große Inspiration, gerade zur Kartzeit, weil er damals als Formel-1-Weltmeister so etwas wie der Held der Jugend war. Wenn man ein bisschen älter wird, schaut man aber auch ein bisschen links und rechts über den Tellerrand der Formel 1 hinaus. Ja, ich bin ein sehr großer Walter-Röhrl-Fan und interessiere mich generell für den Rallye-Sport und das, was die Jungs da abliefern. Natürlich hatte die Rallye damals, als Walter unterwegs war, noch einmal einen ganz anderen Reiz. Gerade was Fahrzeugbeherrschung angeht, gibt es bis heute wenige, die so viel Verständnis, Gefühl, aber auch Analytik besitzen wie er.
Herr Röhrl, in Ihrer langen und erfolgreichen Motorsport-Karriere sind Sie fast in jeder Kategorie des Automobilsports unterwegs gewesen. Sind Sie mal ein Formel-1-Auto gefahren?
Walter Röhrl: Es gab da mal eine Vergleichsfahrt mit Formel-1-Weltmeister Emerson Fittipaldi. Das war 1980, bei meinem ersten WM-Titel. Meine Größe von 1,96 Metern war das größte Handicap im Formel-1-Auto.
Die ADAC Rallye Deutschland, der deutsche Lauf zur FIA Rallye Weltmeisterschaft, findet von 23.- 26. August 2012 in Trier und Umgebung statt. Formel-1-freie Zeit! Wie wäre es mit einem Besuch?
Sebastian Vettel: Ich war schon mal bei der Rallye Finnland. Sensationell, wie schnell die Autos auf diesem Untergrund waren. Einfach unglaublich, wie präzise die Fahrer durch den Wald steuern, springen und mit einem Schnitt von 140/150 km/h die Prüfungen absolvieren. Die Rallye Deutschland wäre etwas Neues und sehr reizvoll. Mal schauen, ob es dieses Jahr klappt. Ich habe noch eine Frage an Walter: Du bist der Einzige, mit dem ich mal eine Runde auf der Nürburgring-Nordschleife fahren würde. Nimmst du mich mit?
Walter Röhrl: Selbstverständlich, auch wenn du der erste Beifahrer wärst, der mich etwas nervös machen würde. Aber ich habe auch eine Frage für Dich: Hältst Du alle Entscheidungen der Sportkommissare und der FIA für gut?
Sebastian Vettel: Es kann sein, dass man in bestimmten Rennsituationen mal etwas erregt ist, wenn man aber darüber geschlafen hat, sehen die Dinge schon wieder anders aus. Ich sehe das ein bisschen so wie im Fußball: Es gibt sicher Entscheidungen, die umstritten sind, aber irgendwie gleicht sich im Laufe der Saison alles wieder aus.
Und noch eine Abschlussfrage: Was war die witzigste Geschichte in Ihrer Motorsport-Karriere?
Sebastian Vettel: Boah, die witzigste Geschichte... es kommt immer darauf an, was man als witzig definiert. Vielleicht hat der Walter da ein bisschen mehr zu erzählen, er ist schon länger dabei. Aber eine Sache ist klar: Man lebt den Sport, man ist mit Herz dabei und da muss auch mal gelacht werden. Das gehört absolut dazu, ansonsten wäre das nicht so lebenswert.
Walter Röhrl: Kürzen wir es ab: Es gab kaum witzige Geschichten, es war immer ernst!
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