Einfache Tage sind es für Romain Grosjean wahrlich nicht - nach seiner neuerlichen Startkollision in Japan, nur ein unauffälliges Singapur-Rennen nach seiner Rennsperre für den Belgien-Unfall in Monza, steht der junge Franzose abermals voll im Fokus der Kritik. Fast das komplette Fahrerlager lässt sich über den ungestümen Jungspund aus, der heuer in acht Rennen eine Kollision in der ersten Runde auslöste, also bei deutlich mehr als der Hälfte seiner Rennantritte. Nach dem Grand Prix in Suzuka stand der 26-Jährige wie ein zusammengekauertes Häufchen Elend den bereits auf die Hetze eingestellten Reportern Rede und Antwort, war dabei den Tränen nahe... Immerhin vorerst muss Grosjean aber nicht um seinen Job bangen, glaubt man Lotus-Teamchef Eric Boullier.
Ob der neuerliche Beweis für die Lernresistenz seines Schützlings nun einmal gravierendere Auswirkungen auf seine Zukunft haben könnte, wurde der Franzose gefragt. "Noch nicht", lautete seine Antwort. Nun klingt ein Freifahrtschein freilich anders, das über Grosjean schwebende Damoklesschwert wurde also durchaus in die Überlegung Boulliers miteinbezogen - aber einmal ganz ehrlich: Was soll der Teamchef unter dem enormen Druck der Medien und vor allem auch der Konkurrenz, die durch den ungestümen Lotus-Youngster immer öfter ihre eigenen Ziele gefährdet sieht, auch sagen? Geschickt stellte sich Grosjean nun wirklich nicht an, das steht derweil außer Frage. In Suzuka fuhr er in Mark Webber hinein und damit ausgerechnet in den Piloten, der ihm als einzigem nach seiner Verbannung für den Spa-Unfall den Rücken gestärkt und gesagt hatte, dass er die Strafe als zu hart empfinde.
Wie viele letzte Chancen bleiben noch?
Fünf Wochen später hörte sich das nun schon ganz anders an: "Vielleicht sollten wir zwei getrennte Starts abhalten - einen für ihn und einen für uns", meinte der angefressene Red-Bull-Pilot nach seinem Abschuss in Kurve eins und ließ es sich auch nicht nehmen, seinen jungen Kontrahenten als Verrückten zu bezeichnen. Wie mit so einem nun aber umzugehen sei, diese Frage spaltet das Fahrerlager: Da gibt es die Verfechter der Theorie 'Anders lernt er es nicht', die Grosjean am liebsten gleich noch einmal für ein bis drei Rennen aus dem Verkehr ziehen würde. Und dann gibt es die Streichler, die wissen, dass es nichts bringt, nun noch weiter auf den jungen Burschen einzuschlagen, macht diesem das doch nur noch mehr Druck, der sich letztendlich zu einem Kopfproblem ausweiten und ihn dann endgültig scheitern lassen dürfte. Grosjeans großes Glück: Die eigene Truppe gehört zur Gattung letzterer Spezies.
Von Draufschlagen hielt Boullier gar nichts, machte der Franzose anhand eines geschichtlichen Beispiels doch lieber deutlich, dass sein Schützling mit seinem Problem in der Historie der F1 sicher kein Einzelfall sei. "Selbst Schumacher hatte zu Beginn seiner Karriere viele Unfälle", so der Teamchef. Im Hintergrund mehren sich trotz aller öffentlich demonstrierten Rückendeckung für den Crashpiloten die Gerüchte, wonach Lotus Grosjean bei weiteren Verfehlungen ersetzen könnte. Laut Radio Monte Carlo gibt es im Vertrag mit dem Piloten eine Option zur Verlängerung, die allerdings nur noch bis zum Tag nach dem Korea GP kommendes Wochenende gezogen werden kann.
Für Grosjean ein denkbar schlechter Zeitpunkt. Baut er in Yeongam den nächsten Unfall, könnte das zu einer Kurzschlussreaktion führen. Außer Acht gelassen werden darf aber nicht, dass mit Teamhauptsponsor Total ein Unternehmen mitentscheiden dürfte, das Grosjean bereits langfristig unterstützt. Zumindest vom rein fahrerischen Talent des Franzosen sind ohnehin alle überzeugt: "Er hat eine große Begabung und kann noch tolle Dinge erreichen. Aber das funktioniert auf lange Sicht nur, wenn er jetzt aufhört sich auf der Strecke so zu benehmen", verdeutlichte beispielsweise Ex-F1-Pilot Olivier Panis die zwei Gesichter seines Landsmannes. Gemäß dem Motto Draufschlager und Streichler, sah Sky-Experte Martin Brundle die Angelegenheit schon weniger rosig.
Prügel & Rückendeckung
"Seine Einschätzungsfähigkeit in engen Zweikämpfen ist eindeutig falsch - ich wüsste nicht, wie er das ändern kann", prognostizierte der Brite Grosjean keine einfache Zukunft. "Man kann nicht vom einen auf den anderen Tag damit beginnen, unterbewusste Entscheidungen zu verändern. Dabei geht es um Instinkt. Und gerade, wenn man den Fokus extra darauf legt, wird es eher noch viel schneller passieren, dass etwas schiefgeht", so Brundle. BBC-Kolumnist und Ex-Konstrukteur Gary Anderson wollte die Wogen hingegen glätten und den immensen Druck von Grosjean nehmen. "Er war nicht der Einzige, der in der ersten Runde in Suzuka Mist gebaut hat", wies der Brite mit Blick auf Kimi Räikkönens Aktion mit Fernando Alonso hin.
"Meiner Meinung nach lastet nach seiner Sperre einfach viel zu viel Druck auf dem Jungen, auf jeden Fall keinen Unfall zu verursachen. Ich will ihn nicht verteidigen, aber es ist jetzt sehr einfach, sich auf einen Fahrer in seiner Situation zu stürzen und ihn fertigzumachen", so Anderson. "Manchmal versucht man zu sehr, Dinge zu vermeiden und dann passieren sie genau deswegen, weil man nicht frei und entspannt ist. Wenn man nicht mit seiner normalen Rennfahrereinstellung an den Start gehen kann, ist man verunsichert, denn man ist eine derartige Einschränkung und Veränderung einfach nicht gewöhnt", mahnte der Experte zu Geduld mit dem Heißsporn.
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