Eigentlich war Kimi Räikkönen in der Favoritenrolle zum Großen Preis von Belgien nach Spa gereist. Ein Sieg für die Lotus-Truppe sei längst überfällig, meinten die Experten - die ansteigende Performancekurve der letzten Rennen deutete darauf hin und wo, wenn nicht auf der erklärten Lieblings- und Paradestrecke des Finnen sollte es mit dem ersten Triumph nach seiner zweijährigen F1-Auszeit klappen. Am Rennwochenende bot sich in den Ardennen dann aber ein anderes Bild. Zwar kämpfe Räikkönen in der Spitzengruppe mit, wurde schlussendlich Dritter - doch mit dem Sieg hatte er nicht wirklich etwas am Hut. Zu groß war die Dominanz des durch den starken Mercedes-Motor befeuerten McLaren von Jenson Button - zu wenig Power auf den langen Waldgeraden konnte das Renault-Triebwerk an den Mann bringen.
Power - das war auch das Stichwort, als es am Lotus-Funk darum ging, die letzten zehn Prozent des KERS mobil zu machen, die man Räikkönen vorher gestrichen hatte. Kurzum: Für den ganz großen Spa-Triumph fehlte so ein bisschen die Durchschlagskraft. Mit Monza steht nun kommendes Wochenende aber der nächste Kurs Marke Vollgas an. Für Lotus ein Problem, das die WM-Chancen schmälern könnte? Teamchef Eric Boullier widerspricht. 33 Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Fernando Alonso weist sein Schützling derzeit auf - dem Red-Bull-Duo sitzt er ohnehin jetzt schon ganz dicht im Nacken und das auch ohne Sieg. Hinter dem Finnen liegen die beiden McLaren-Piloten Lewis Hamilton und Jenson Button, wenngleich Letzterer nur noch Außenseiterchancen besitzt.
Weltklasse in Eau Rouge
Auf der anderen Seite ist der Chrompfeil in den letzten Rennen aber das dominierende Auto gewesen, was McLaren bald wieder in Reichweite zur Spitze bringen könnte. Nichtsdestotrotz: Im Gegensatz zur Konkurrenz besticht Räikkönen heuer doch vor allem durch seine Konstanz. "Wenn man jedes Wochenende Podestplatzierungen einfährt, ist man ganz einfach in der Position, um die Meisterschaft mitzufahren - und ich für meinen Teil bin davon überzeugt, dass er dieses Jahr definitiv um den Titel kämpfen kann", erklärte Boullier in Bezug auf den WM-Vierten. Für die Umsetzung dieses ambitionierten Unterfangens nahm der Franzose aber auch sein eigenes Team nicht aus der Pflicht. Boullier stellte klar: "Es ist an uns, ihm ein wirklich gutes Auto zur Verfügung zu stellen und keine Möglichkeit ungenützt zu lassen - viel fehlt Kimi nach ganz vorne ja ohnehin nicht."
An der aktuellen Form seines Star-Piloten würde es jedenfalls nicht liegen, dass einem der ganz große Wurf, in Form eines Besuchs auf der obersten Stufe des Treppchens, bislang verwehrt blieb. Auch in Spa habe Räikkönen eine spektakuläre Leistung geboten, gekrönt von seinem waghalsigen Überholmanöver gegen Michael Schumacher eingangs der Eau Rouge. "Ich denke, jeder kann das dementsprechend einordnen", sagte Boullier. "Er hat da kurzen Prozess gemacht und sich diese Chance nicht entgehen lassen. Was herauskam, war ein Manöver, das ganz einfach Weltklasse war." Ob es auch weltmeisterlich war, kann erst der weitere Saisonverlauf zeigen.
Dafür würde es allerdings einer starken Aufholjagd bedürfen. Zu Boulliers großem Glück, ist jedoch genau das Räikkönens große Stärke. Man erinnere sich nur an seinen Titelgewinn 2007 bei Ferrari. Damals war es wohlgemerkt auch des Finnen erstes Jahr in einem neuen Team - Eingewöhnungsschwierigkeiten hatte er keine, genausowenig wie diese Saison bei Lotus. In den letzten beiden Saisonrennen holte er seinerzeit nach dem alten Punktesystem schier aussichtslos wirkende 17 Punkte auf den Führenden Lewis Hamilton auf, der sich im internen Duell mit McLaren-Teamkollege Fernando Alonso aufrieb. Damals hieß es: Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Heuer könnte es heißen: Wenn sechs sich streiten, freut sich Räikkönen.
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